Gruppenprophylaxe für Erwachsene mit Behinderungen

10.05.2005

Berliner Zahnärztekammer mit weiterem Integrations-Projekt: Neues Konzept zur Gruppenprophylaxe für Erwachsene mit Behinderungen

Presseinformation der Zahnärztekammer Berlin vom 10. Mai 2005

Manche guten Ideen bleiben auf dem Weg zur Realisierung liegen – andere verwirklichen sich schneller als gedacht: Zu den zweiten gehört das neue Konzept des Behinderten -Arbeitskreises der Zahnärztekammer Berlin, der zumeist vernachlässigten Gruppe von Erwachsenen mit Behinderungen durch gruppenprophylaktische Maßnahmen neue Wege zu einer Verbesserung der Zahngesundheit und Lebensqualität aufzuzeigen. Das im Januar gestartete Projekt ist bereits erfolgreich angelaufen, alle in der Pilotphase teilnehmenden 21 Berliner Wohn-Einrichtungen haben die ersten Startmaßnahmen bereits absolviert und mit guter Resonanz und viel Zustimmung aufgenommen. Die Pilotphase ist für die Zeit bis zum Sommer angesetzt, um erste Erfahrungen zu sammeln – bereits jetzt zur „Halbzeit“ des Projektes zeigt es sich aber, dass eine Fortführung als äußerst sinnvoll erachtet wird. Das Berliner Hilfswerk Zahnmedizin unterstützt im Rahmen seines Engagements für die Behandlung von Menschen mit Behinderungen auch dieses Projekt und wird, so erhofft sich Dr. Imke Kasche, Leiterin des Arbeitskreises Behindertenbehandlung der Zahnärztekammer Berlin, auch in Zukunft an der Seite der Betroffenen stehen und das Projekt weiter mittragen.

„ Mit ganz großer Freude haben wir vor einigen Wochen bei diesem Projekt im übertragenen Sinne den grünen Startknopf gedrückt“, sagt Dr. Wolfgang Schmiedel, Präsident der Zahnärztekammer Berlin, der zusammen mit Dr. Kaschke, Dr. Christian Bolstorff (Berliner Hilfswerk Zahnmedizin) und Dr. Christine Rossberg (Vorsitzende der Volkssolidarität Landesverband Berlin) am 20. Januar 2005 in einer der Wohn-Einrichtungen für geistig und mehrfach Behinderte die erste Informationsveranstaltung für alle Beteiligen eröffnet hatte: „Wir haben mit der Fachkompetenz unseres sehr aktiven und erfolgreichen Arbeitskreises zahnärztliche Behindertenbehandlung und mit Unterstützung unseres Berliner Hilfswerks Zahnmedizin in Zusammenarbeit mit den Experten aus dem Bereich der Behinderteneinrichtungen ein Konzept entwickeln können, das bundesweit Neuland beschreitet. Ein nicht geringer Teil unserer Mitmenschen ist aus verschiedenen Gründen nicht dazu in der Lage, für die eigene Mundgesundheit zu sorgen, und so kommt den Betreuern und Angehörigen eine Aufgabe zu, für die sie bisher nicht geschult wurden.“ Dieses Projekt für Erwachsene mit Behinderungen ist ein weiterer Schritt der Zahnärztekammer Berlin zur Integration bisher nicht ausreichend versorgter Patientengruppen, der auch hier zur Bildung eines hilfreichen Netzwerkes führen wird.

Da Menschen mit Behinderungen oft nicht in der Lage sind, ihre Zähne so zu pflegen, dass sie gesund bleiben, tragen Angehörige und Betreuer auch auf diesem Gebiet eine große Verantwortung. „Alle Bemühungen sind nur dann sinnvoll,“ so Dr. Imke Kaschke, „wenn es gelingt, diesem Personenkreis das Verständnis und die Fähigkeiten zu vermitteln, die angebotene Hilfe zu nutzen.“ Viele Menschen mit Behinderungen können wegen mangelnder Kooperativität nicht adäquat zahnärztlich versorgt werden, oft müssen Behandlungen deshalb in kostenintensiven und aufwendigen Intubationsnarkosen durchgeführt werden. Eine Versorgung mit Zahnersatz kann wegen mangelnder Akzeptanz in vielen Fällen nicht erfolgen. Dr. Kaschke: „Der lebenslange Zahnerhalt ist umso bedeutungsvoller. Dabei kann ausreichender Schutz mit der bloßen Durchführung von Basismaßnahmen nicht gewährleistet werden, sondern dazu ist eine lebenslange kontinuierliche umfassende präventive Betreuung erforderlich.“
Ziel des Projektes ist es, Menschen mit Behinderungen auch im Erwachsenenalter eine für ihre spezielle Situation notwendige individuelle Förderung zu ermöglichen. Dies bedeutet eine kontinuierliche Unterstützung der Zahn- und Mundhygiene für Patienten mit Behinderungen entsprechend ihrer Möglichkeit zur Kooperation über alle Lebensabschnitte, da die prophylaktische Fürsorge wegen Zuständigkeitsfragen mit dem Jugendalter endet.

In zunächst 21 teilnehmenden Berliner Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen werden geschulte zahnmedizinische Fachangestellte vor Ort gemeinsam mit interessierten Betreuern und Bewohnern Zahnputzübungen, Mundhygiene- sowie Ernährungsberatungen durchführen. So wird ein Angebotsnetz aufgebaut, das sich den behinderten Menschen in besonderer Weise widmet. Aber auch finanziell muss eine Absicherung dieses Einsatzes erfolgen. Dr. Kaschke: „Der erhöhte Aufwand dieser Betreuung sowie die dringend notwendigen lebenslangen Prophylaxemaßnahmen können nicht durch diese Patientenklientel selbst finanziert werden.“

Wissenschaftliche Begleitung durch FU und Charité
Das Projekt wird durch die Abteilung Gesundheitspsychologie der Freien Universität Berlin sowie durch das Zentrum für Zahnmedizin der Charite begleitet und ausgewertet. Eine solche Unterstützung ist sinnvoll, da eine Optimierung der Betreuung von Erwachsenen mit Behinderungen dringend überfällig ist. Dr. Kaschke: „Aktuelle Untersuchungen des Zentrums für Zahnmedizin der Universitätsmedizin Berlin Charité sowie der Universität Witten-Herdecke haben deutliche Defizite in der Prophylaxebetreuung von erwachsenen Behinderten und Pflegebedürftigen sowie Senioren gezeigt. Ergebnisse einer Studie zur Zahn- und Mundhygiene 35 – 44jähriger Bewohner Berliner Behinderteneinrichtungen belegen, dass die häusliche Mundhygiene bei Menschen mit Behinderungen im Vergleich zur übrigen Bevölkerung nur unzureichend durchgeführt wird. So hatten im Gegensatz zur Bevölkerung der gleichen Altersgruppe mit fast 60% nur 21% der Menschen mit Behinderungen keine sichtbaren Beläge. Die registrierten Befunde belegen die bisher inefffektive Durchführung der Mundhygiene in der Gruppe der Heimbewohner (Kaschke, Liere, Jahn, Berlin 2004).“

Erste Erfahrungen nach Halbzeit der Pilotphase
Auch wenn alle Initiatoren das erhofft hatten – es war doch nicht sicher, ob der Mehraufwand, den dieses Projekt allen Beteiligten auferlegt, auch wirklich angenommen und auch beibehalten wird. „Die eigentliche zahnmedizinische Seite des Projektes läuft prima“, sagt Dr. Kaschke zur Halbzeit des Projektes, „etwas problematischer gestaltete sich anfangs der Umgang mit den Fragebögen. Aber auch das ist bereits gelöst.“ In der Zwischenzeit haben sich weitere Einrichtungen angemeldet, die aber nicht mehr im Rahmen der Pilotphase betreut werden können. „Die Pilotphase wird planmäßig bis zum Sommer laufen, d.h. die begleitende Fragebogenaktion wird nur in den teilnehmenden Einrichtungen der Pilotphase durchgeführt, damit wir im Sommer die Auswertung der Fragebogen durchführen können und damit Ergebnisse zur Bewertung des Projektes haben. Interessant ist auch, dass das Projekt weite Kreise zieht: Wir haben Anfragen von Einrichtungen aus dem Land Brandenburg und Niedersachsen, ob die Möglichkeit zur Teilnahme besteht. Wir haben an die örtlichen Zahnärztekammern verwiesen und stehen diesen mit unseren Erfahrungen gern zur Verfügung.“

Erfolge in der Gruppenprophylaxe

Gruppenprophylaxe hat sich in Berlin in einem anderen Bereich außerordentlich bewährt: Durch den Einsatz der LAG konnte die Anzahl der von Karies befallenen Zähne bei den Zwölfjährigen in der Stadt innerhalb weniger Jahre halbiert werden. Dr. Schmiedel: „Auch Kinder mit Behinderungen werden von den Teams der LAG speziell betreut. Bisher benachteiligt waren Erwachsene mit Behinderungen - dem versuchen wir mit diesem Projekt so weit wie möglich abzuhelfen. Die großen Erfolgsdaten der Arbeit der LAG mit den Kindern und Jugendlichen darf man im Bereich der Gruppenprophylaxe für erwachsene Menschen mit Behinderungen leider nicht an Bilanz erwarten – aber wir erhoffen uns für alle Beteiligten, dass der Einsatz von vielen kleinen Verbesserungen für die Bewohner der Einrichtungen gekrönt wird und eine weitere Gruppe von der positiven Entwicklung zu mehr Mundgesundheit und Wohlbefinden profitieren kann, die bisher leider noch zu kurz gekommen ist. Auf die Ergebnisse sind wir schon heute sehr gespannt – sie werden uns eine Verpflichtung sein.“

Zusatz: Im April hat das Hilfswerk die weitere finanzielle Unterstützung des Projektes bis zum Ende des Jahres bewilligt. Damit besteht die Möglichkeit, zusätzlich weitere Einrichtungen mit erwachsenen Bewohnern mit Behinderungen zahnmedizinisch prophylaktisch zu betreuen. Interessierte Einrichtungen können sich dazu per Fax (34808-240) über die Zahnärztekammer Berlin anmelden.
Stallstraße 1, 10585 Berlin, Deutschland
Tel: (030) 34 808 0 | Fax: (030) 34 808 200 | E-Mail: info@zaek-berlin.de