17.01.2013
Gesellschaftliches Umfeld
Professor Oesterreich nutzte die Gelegenheit, auf die vielfältigen gesellschaftlichen Veränderungen hinzuweisen, auf die sich die Kollegenschaft einstellen müsse – Stichworte, die in unterschiedlicher Hinsicht auch mit Psychosomatik verwoben sind. Die Politik werde sich immer mehr in das Arzt-Patientenverhältnis einmischen, die demografische Entwicklung verändere die Zusammensetzung der Patientenschaft, die Patienten selbst zeigten ein spürbares Interesse an Lifestyle-Entwicklungen und hohe Erwartungen, andererseits sei in vielen Patientenkreise das Gesundheitsverhalten unterentwickelt. Auch dabei werde die enge Verbindung von Zahnmedizin und Medizin deutlich: „Wir sehen die gleichen Erkrankungsrisiken: Ernährung, Rauchen, das soziale Umfeld und auch das Einkommen, um Beispiele zu nennen.“ Vermehrt erkannt werde die Rolle somatischer Risikofaktoren wie genetische Ursachen, Gefäßerkrankungen und chronische Erkrankungen wie Diabetes. Gewandelt habe sich auch das Verständnis von Krankheit: „Wir haben heute ein bio-psycho-soziales Krankheitsverständnis. Aus der Zeit, in der Zahnmedizin vor allem für die Reparatur von Zahnschäden verantwortlich war, haben wir uns schon lange in Richtung eines modernen präventionsorientierten medizinischen Fachgebietes weiterentwickelt.“ Er übte Kritik, dass sich diese Entwicklung noch zu selten in den Fortbildungen und den Forschungsthemen widerspiegele: Inhalte beschäftigten sich vielfältig mit der x-ten Weiterentwicklung spezieller Keramiken und zu selten mit den Herausforderungen durch die Veränderungen des gesellschaftlichen Umfeldes der Zahnarztpraxen – seine Kritik galt damit auch den Methoden der wissenschaftlichen Versorgungsforschung. Er erinnerte die Zahnärzte daran, dass 75 % der Bevölkerung regelmäßig zahnärztliche Kontrolluntersuchungen vornehmen ließen in einer wichtigen Lebensphase für Prävention und Gesundheitsförderung: Die Potentiale der Zahnarztpraxis für die Allgemeingesundheit der Bevölkerung seien erheblich unterschätzt. Die Zahnarztpraxis biete nicht nur vielfältige Möglichkeiten für Prävention und Aufklärung, sondern sei oft auch die erste Stelle, die eine sich abzeichnende Erkrankung erkenne und daher frühzeitige ärztliche Intervention ermögliche.
Was tun, wenn...?
Nach den Hinweisen von Professor Oesterreich, wie man Signale erkennt und eine biopsychosoziale Diagnose erstellen kann, griff Dr. Schmiedel den Faden auf und ging sozusagen den Weg in die Praxis: „Was kann ich tun, wenn ich erkenne oder erahne, dass der Patient psychosomatisch erkrankt ist?“ Wichtig sei, sich bewusst zu machen, dass dahinter meist kein einfacher kausaler Zusammenstand steht, sondern eine vielschichtige Entwicklung: „Krankheit ist auch eine Beziehungsstörung zwischen Umwelt und Persönlichkeit.“ Hier könne man meist nicht mit einem eindimensionalen Lösungsansatz herangehen: „Eigentlich ist die Psychosomatik eine geänderte Betrachtungsweise des Menschen“, sagte er, die Erkrankung besage etwas über den Patienten als Ganzes und sei sozusagen ein Informant. Generell gelten 25 % der Bevölkerung als zumindest zeitweise psychosomatisch erkrankt. Er skizzierte Symptome, warnte aber auch davor, sie undifferenziert zu nutzen: „Manches, was die Psychosomatik als seelische Störung auflistet, ist eigentlich ‚normal’ – man muss also darauf schauen, in welchem Zusammenhang alles miteinander steht.“ Nicht vergessen dürfe man, dass z.B. die Extraktion eines Zahnes zu einem erheblichen psychosomatischen Trauma führen könne. Zu den schönen Erfolgen einer angemessenen Therapie gehöre, wenn beispielsweise nach dem Auflösen der psychischen Verkrampfung auch der Masseter entspanne. Wer sich selbst sicherer fühlen und die Patienten angemessen diagnostizieren und behandeln wolle, dem sei ein Psychosomatik-Curriculum empfohlen, das beispielsweise das Berliner Pfaff-Fortbildungsinstitut in 2013 neu auflegen wolle. Wer in Berlin praktiziere, habe einen deutlichen Standortvorteil: die von einer psychosomatisch ausgebildeten Zahnärztin und auch in zahnmedizinischen Symptomen geschulten Psychotherapeutin gemeinsam geführte Patientenberatungsstelle „Seele und Zähne“. Sie biete sich als Anlaufstelle an, wenn man selbst nicht weiterkommt mit entsprechenden Patienten. Dr. Schmiedel: „Wir haben das beim Studium nicht gelernt – aber wir haben solche Patienten in der Praxis. Und für diese Patienten müssen wir Antworten haben, die seine Gesundheit in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen.“
Dienstagabendfortbildung der Zahnärztekammer Berlin: Psychologie und Psychosomatik in der Zahnmedizin
Presseinformation der Zahnärztekammer Berlin vom 17. Januar 2013
Die 189. sogenannte „Dienstagabendfortbildung“ der Zahnärztekammer Berlin – ein kostenfreies und beliebtes Angebot für die Berliner Zahnärzte – widmete sich am 4. Dezember 2012 einem Thema, das mehr oder weniger bewusst Alltag in den Zahnarztpraxen ist: Psychosomatik. Als Referenten hatte Kammer-Vorstandsmitglied Juliane Gnoth als Leiterin der Veranstaltungsreihe zwei Referenten eingeladen, die auf ihre Weise Vorreiter der Thematik sind und in ihrem jeweiligen Bereich Grundlagen etabliert haben. Über den aktuellen Stand und die Bedeutung des Themas auch aus versorgungspolitischer Sicht berichtete Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, die im Jahr 2006 den Leitfaden „Psychosomatik in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ herausgegeben hat. Einen besonderen Blick auf Berlin, zudem Grundsätzliches zu Psychosomatik und die Bedeutung für das orale System vermittelte Dr. Wolfgang Schmiedel, Präsident der Zahnärztekammer Berlin, der auch die nach wie vor bundesweit einmalige Institution der Patientenberatungsstelle „Seele und Zähne“ vorstellte. Sie wurde ebenfalls im Jahr 2006 nach vorbereitenden Gesprächen zwischen der Zahnärztekammer und der Psychotherapeutenkammer in Zusammenarbeit mit der KZV Berlin als kostenfreies Angebot für die Berliner Patienten eröffnet – steht allerdings bewusst nur nach Überweisung durch einen Zahnarzt oder Psychotherapeuten zur Verfügung.Gesellschaftliches Umfeld
Professor Oesterreich nutzte die Gelegenheit, auf die vielfältigen gesellschaftlichen Veränderungen hinzuweisen, auf die sich die Kollegenschaft einstellen müsse – Stichworte, die in unterschiedlicher Hinsicht auch mit Psychosomatik verwoben sind. Die Politik werde sich immer mehr in das Arzt-Patientenverhältnis einmischen, die demografische Entwicklung verändere die Zusammensetzung der Patientenschaft, die Patienten selbst zeigten ein spürbares Interesse an Lifestyle-Entwicklungen und hohe Erwartungen, andererseits sei in vielen Patientenkreise das Gesundheitsverhalten unterentwickelt. Auch dabei werde die enge Verbindung von Zahnmedizin und Medizin deutlich: „Wir sehen die gleichen Erkrankungsrisiken: Ernährung, Rauchen, das soziale Umfeld und auch das Einkommen, um Beispiele zu nennen.“ Vermehrt erkannt werde die Rolle somatischer Risikofaktoren wie genetische Ursachen, Gefäßerkrankungen und chronische Erkrankungen wie Diabetes. Gewandelt habe sich auch das Verständnis von Krankheit: „Wir haben heute ein bio-psycho-soziales Krankheitsverständnis. Aus der Zeit, in der Zahnmedizin vor allem für die Reparatur von Zahnschäden verantwortlich war, haben wir uns schon lange in Richtung eines modernen präventionsorientierten medizinischen Fachgebietes weiterentwickelt.“ Er übte Kritik, dass sich diese Entwicklung noch zu selten in den Fortbildungen und den Forschungsthemen widerspiegele: Inhalte beschäftigten sich vielfältig mit der x-ten Weiterentwicklung spezieller Keramiken und zu selten mit den Herausforderungen durch die Veränderungen des gesellschaftlichen Umfeldes der Zahnarztpraxen – seine Kritik galt damit auch den Methoden der wissenschaftlichen Versorgungsforschung. Er erinnerte die Zahnärzte daran, dass 75 % der Bevölkerung regelmäßig zahnärztliche Kontrolluntersuchungen vornehmen ließen in einer wichtigen Lebensphase für Prävention und Gesundheitsförderung: Die Potentiale der Zahnarztpraxis für die Allgemeingesundheit der Bevölkerung seien erheblich unterschätzt. Die Zahnarztpraxis biete nicht nur vielfältige Möglichkeiten für Prävention und Aufklärung, sondern sei oft auch die erste Stelle, die eine sich abzeichnende Erkrankung erkenne und daher frühzeitige ärztliche Intervention ermögliche.
Was tun, wenn...?
Nach den Hinweisen von Professor Oesterreich, wie man Signale erkennt und eine biopsychosoziale Diagnose erstellen kann, griff Dr. Schmiedel den Faden auf und ging sozusagen den Weg in die Praxis: „Was kann ich tun, wenn ich erkenne oder erahne, dass der Patient psychosomatisch erkrankt ist?“ Wichtig sei, sich bewusst zu machen, dass dahinter meist kein einfacher kausaler Zusammenstand steht, sondern eine vielschichtige Entwicklung: „Krankheit ist auch eine Beziehungsstörung zwischen Umwelt und Persönlichkeit.“ Hier könne man meist nicht mit einem eindimensionalen Lösungsansatz herangehen: „Eigentlich ist die Psychosomatik eine geänderte Betrachtungsweise des Menschen“, sagte er, die Erkrankung besage etwas über den Patienten als Ganzes und sei sozusagen ein Informant. Generell gelten 25 % der Bevölkerung als zumindest zeitweise psychosomatisch erkrankt. Er skizzierte Symptome, warnte aber auch davor, sie undifferenziert zu nutzen: „Manches, was die Psychosomatik als seelische Störung auflistet, ist eigentlich ‚normal’ – man muss also darauf schauen, in welchem Zusammenhang alles miteinander steht.“ Nicht vergessen dürfe man, dass z.B. die Extraktion eines Zahnes zu einem erheblichen psychosomatischen Trauma führen könne. Zu den schönen Erfolgen einer angemessenen Therapie gehöre, wenn beispielsweise nach dem Auflösen der psychischen Verkrampfung auch der Masseter entspanne. Wer sich selbst sicherer fühlen und die Patienten angemessen diagnostizieren und behandeln wolle, dem sei ein Psychosomatik-Curriculum empfohlen, das beispielsweise das Berliner Pfaff-Fortbildungsinstitut in 2013 neu auflegen wolle. Wer in Berlin praktiziere, habe einen deutlichen Standortvorteil: die von einer psychosomatisch ausgebildeten Zahnärztin und auch in zahnmedizinischen Symptomen geschulten Psychotherapeutin gemeinsam geführte Patientenberatungsstelle „Seele und Zähne“. Sie biete sich als Anlaufstelle an, wenn man selbst nicht weiterkommt mit entsprechenden Patienten. Dr. Schmiedel: „Wir haben das beim Studium nicht gelernt – aber wir haben solche Patienten in der Praxis. Und für diese Patienten müssen wir Antworten haben, die seine Gesundheit in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen.“