Dr. Wolfgang Schmiedel

Dr. Wolfgang Schmiedel

12.01.2007

Eröffnungsrede des Präsidenten der Zahnärztekammer Berlin, Dr. Wolfgang Schmiedel, zum 21. Berliner Zahnärztetag

Dr. Wolfgang Schmiedel eröffnete den Zahnärztetag mit Kritik an der Gesundheitspolitik

Sehr geehrter Herr Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer Dietmar Oesterreich,
sehr geehrte Damen und Herren Präsidenten,
liebe Gäste,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

es ist mir eine große Freude, Sie alle hier und heute anlässlich der Eröffnung des 21. Berliner Zahnärztetages im Namen der Zahnärztekammer Berlin begrüßen zu dürfen! Unser diesjähriges Tagungsthema lautet „Implantologie interdisziplinär“, und erwartungsgemäß ist diese Thematik auf sehr großes Interesse bei der Kollegenschaft gestoßen, wie die hohen Teilnehmerzahlen der Besucher aus und von außerhalb Berlins eindrucksvoll belegen.

Als Präsident der Berliner Zahnärztekammer macht es mich stolz und glücklich, dieses ungebrochene Fortbildungsinteresse unseres Berufsstandes zu registrieren, welches mit Sicherheit nicht dem Umstand geschuldet ist, dass jeder Berufsangehörige eine bestimmte Anzahl von Fortbildungspunkten innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zu erreichen gesetzlich verpflichtet ist. Nein, und ich sage dies zum wiederholten Male aus fester Überzeugung: Die Kollegenschaft bildet sich aus innerem Antrieb fort, wie sie dies schon immer, auch ohne gesetzliche Vorgaben, getan hat. Allein aus dem Wissen heraus, dass die damit verbundene Erweiterung des persönlichen Diagnostik- und Therapiespektrums dem Erhalt und der Verbesserung des qualitativen Standards jeder einzelnen Praxis dient und damit gleichzeitig ein Garant für das Überleben freiberuflichen zahnärztlichen Schaffen ist.

Dass die Vermehrung unseres zahnärztlichen Fachwissens verbunden mit den Erfolgen jahrelanger zahnärztlich - präventionsorientierter Bemühungen unübersehbare Früchte tragen, durften wir alle Ende des letzten Jahres mit Freude zur Kenntnis nehmen. Ich habe in meinem schriftlichen Vorwort zu diesem Zahnärztetag bereits darauf hingewiesen, dass die wissenschaftlich belegten, validierten und somit nachprüfbaren Ergebnisse der „Vierten Deutschen Mundgesundheitsstudie DMS IV“ in eindrucksvoller Weise belegen, dass unser Berufsstand seine „Schularbeiten“ gemacht hat, ein Umstand übrigens, der selbst von unseren langjährigen Verhandlungsgegnern, den gesetzlichen Krankenkassen, keinen Widerspruch erfährt, sondern mit Respekt und Anerkennung wahrgenommen worden ist.

Dieses exzellente „know how“ unseres Berufsstandes, die erfolgreichen stetigen Bemühungen um die Gesunderhaltung von Zähnen und Zahnhalteapparat, aber auch die vielfältigen Möglichkeiten modernster Zahnmedizin, wenn es, wie dieser Zahnärztetag eindrucksvoll beweist, um den Ersatz verloren gegangener Zähne geht, sind mit ein entscheidender Grund für das in Umfragen immer wieder bestätigte außerordentlich hohe Ansehen, welches unser Berufsstand bei unseren Patienten seit vielen Jahren zu Recht genießt.

Was ist nun die Antwort des Gesetzgebers auf die nachgewiesenermaßen sowohl ärztlichen als auch zahnärztlichen Bemühungen, als so genannte „Leistungserbringer“ ihrer sozial- und gesellschaftspolitischen Verantwortung im Rahmen einer von Solidarität und Subsidiarität getragenen Gesellschaft nachzukommen?

Die Antwort, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, sind drei trojanische Pferde! Wunderbar anzuschauen auf den ersten Blick lauten sie

1. Vertragsarztrechtsänderungsgesetz
2. Versicherungsvertragsgesetz und
3. GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz

Als viertes, als „Sahnehäubchen“ sozusagen, sollen wir Zahnärzte nun endlich auch eine neue Gebührenordnung erhalten, welche längst überfällig die alte aus dem Jahre 1988 stammende „GOZ“ ersetzt, ich komme auf dieses Thema am Ende meiner Ausführungen zurück.

Trojanische Pferde, sagte ich, wunderbar anzuschauen. Warum wunderbar? Weil alle drei genannten Gesetze und Gesetzesvorhaben auf den ersten Blick mehr unternehmerische Freiheit, weniger Restriktionen und weniger Bürokratie vermuten lassen und somit diesbezüglichen ärztlichen und zahnärztlichen berufsständischen Forderungen und Wünschen Rechnung zu tragen scheinen.

Doch schauen wir einmal hinter die Kulissen, öffnen wir einmal, um beim Beispiel zu bleiben, die Bäuche dieser Pferde und sehen wir uns deren Inhalte etwas genauer an. Beginnen wir mit dem „Vertragsarztrechtsänderungsgesetz“: Bei der nunmehr vom Gesetzgeber eingeräumten, durchaus verlockend erscheinenden Möglichkeit der Gründung überörtlicher Sozietäten, Zweit- und Satellitenpraxen, Teilzeitmodellen, erweiterten Möglichkeiten der Anstellung oder Zulassung, bis hin zur ganz offenkundig gewünschten und geförderten Gründung von so genannten „Medizinischen Versorgungszentren“ handelt es sich bei genauem Hinschauen um den Versuch und den Wunsch, die freiberuflich erbrachte ärztliche und zahnärztliche ambulante Versorgung so umzustrukturieren, dass diese in einigen Jahren der Vergangenheit angehört. Meine Damen und Herren, hier soll poliklinischen Strukturen gegenüber unseren freiberuflichen Strukturen der Vorzug gegeben werden. Dass diese vom derzeitigen Gesetzgeber gewünschte Entwicklung über sozialrechtliche Vorgaben erheblichen Einfluss auf das ärztliche und zahnärztliche Berufsrecht eines schon jetzt kaum noch freien Berufes haben wird, bedarf keiner Erwähnung. Jedem, der sich ein wenig mit Computern auskennt, dürfte der Begriff des so genannten „Trojaners“ bekannt sein: Es handelt sich dabei um bösartige Viren, die sich als nützliche Informationen tarnen, aber einmal geöffnet den Benutzer eines Computers unbemerkt ausspionieren und im schlimmsten Fall den PC so beschädigen können, dass dieser nicht mehr benutzt werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gehen wir den auf den ersten Blick verlockenden Möglichkeiten dieses Trojaners, des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes, nicht auf den Leim, sondern sichern wir das Überleben unseres Berufsstandes in nicht gewerblicher, freiberuflicher und damit unabhängiger Berufsausübung!

Kommen wir kurz zum Versicherungsvertragsgesetz: Dieses entpuppt sich auf Grund der dort eingeräumten Möglichkeiten, dass nämlich die Krankenversicherungen zusätzliche Dienstleistungen sollen erbringen können, bei genauem Hinschauen als Einstieg in die so genannten „Einkaufsmodelle“. Insbesondere die Möglichkeit, dass fachlich dafür überhaupt nicht geeignete Mitarbeiter von Privatversicherern zumindest beratend Einfluss auf eine vom Zahnarzt vorgeschlagene Therapie sollen nehmen können, aber auch der Umstand, dass unter Umgehung des Patienten die Privatversicherung direkt mit dem Leistungserbringer, sprich Zahnarzt unmittelbar abrechnen kann, wird zur Konsequenz haben, dass das von mir eingangs erwähnte nachweislich gute Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Behandler ausgehöhlt, wenn nicht gar mittel- bis langfristig zerstört wird. Ähnlich erfolgreich, wie es der Gesetzgeber mittels Einführung von Budgets, Degression und dadurch bedingten Honorarverteilungsmaßstäben geschafft hat, den zahnärztlichen Berufsstand zu zersplittern (das Antreten von immerhin 11 zahnärztlichen Gruppierungen zur Wahl der neuen Delegiertenversammlung der Zahnärztekammer Berlin Ende letzten Jahres ist dafür ein trauriges Beispiel), ähnlich also soll nun die augenfällige Solidarität und der Schulterschluss zwischen den Ärzten und Zahnärzten einerseits und ihren für die Probleme der Kollegenschaft durchaus Verständnis zeigenden Patienten zerstört werden.

Folgt das so genannte Wettbewerbs“stärkungs“-Gesetz: Liebe Kolleginnen und Kollegen, in einer Vorgehensweise, die durchaus als dreist bezeichnet werden kann, versucht sich die Bundesregierung in einem Spagat zwischen völlig konträren Vorstellungen beider regierenden Parteien, beide gefangen von Wählergunst und schielend auf Landtagswahlen und Umfrageergebnisse, an einer ach wievielten Gesundheitsreform. Und diese Regierung muss sich darüber hinaus die berechtigten Vorwürfe, dass die davon Betroffenen nahezu keine Möglichkeiten hatten, ihre Vorstellungen wenn schon nicht einzubringen, so doch zumindest vortragen zu dürfen, gefallen lassen.
Dem Umstand, dass von einem in der deutschen Geschichte einmaligen Schulterschluss zwischen Ärzten, Zahnärzten, angestellten wie freiberuflich Tätigen, Patienten, Krankenkassen und Gewerkschaften und weiten Teilen unserer Bevölkerung getragenen Protest gegen dieses Machwerk sich solidarischer Widerstand erhebt – diesem Umstand tritt die Bundesregierung gebetsmühlenartig mit der unverfrorenen Zurückweisung entgegen: „Interessiert uns nicht, alles Einwände von Lobbyisten, wir ziehen das in jedem Falle durch!“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,

Diese beratungsresistente, ohne Sinn und Verstand durchaus als arrogant zu bezeichnende Vorgehensweise der Regierenden ist nur aus einem einzigen Grund zu verstehen, und das wird leider täglich immer aufs Neue bestätigt: Sie verstehen es selber nicht! Wäre ja alles noch gar nicht so schlimm, würde diese Regierung nicht ihr eigenes Unvermögen in unverschämter Weise so zu verstecken trachten, indem sie nun ihrerseits die Bevölkerung für dumm verkauft. Ich behaupte: Unsere Politiker sind in diesem Punkte entweder vernunftmäßig eingeschränkt oder sie lügen bewusst. Beides sicher kein Kompliment, aber ich werde diese These auszugsweise an 5 Punkten argumentativ beweisen:

1. Die Bundesregierung behauptet:

"Durch die teilweise Finanzierung von gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der gesetzlichen Krankenversicherung aus dem Bundeshaushalt wird die Finanzierung der GKV auf eine langfristig stabilere, gerechtere und beschäftigungsfördernde Basis gestellt."

Wahr ist:
Die Finanzierungsprobleme des Gesundheitswesens bleiben ungelöst. Durch die Finanzierung des neuen Gesundheitsfonds im Wesentlichen aus lohnbezogenen Beiträgen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern fließt kein zusätzlicher Euro in das System. Die Koppelung von Gesundheits- und Arbeitskosten wird zementiert. Das Hauptziel der Reform, dauerhaft sichere Finanzgrundlagen zu schaffen, wird verfehlt.

2. Die Bundesregierung behauptet:
"Der Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung wird fortgeführt und ausgebaut."

Wahr ist:
Die Bundesregierung hat den vor drei Jahren eingeführten Bundeszuschuss aus dem Tabaksteueraufkommen in Höhe von jährlich 4,2 Milliarden Euro gestrichen. Für das Haushaltsjahr 2008 sieht der Gesetzentwurf lediglich einen Zuschuss aus Bundesmitteln in Höhe von 1,5 Milliarden Euro vor.

3. Die Bundesregierung behauptet:
"Der Wettbewerb innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung wird weiter intensiviert. Qualität und Effizienz der medizinischen Versorgung werden so deutlich verbessert."

Wahr ist:
Die Regierung betreibt Etikettenschwindel. Sie schafft keinen Wettbewerb, sie verhindert ihn. Gestärkt wird nur der Einfluss des Staates. Der Titel 'Staatsmedizin-Einführungsgesetz' oder „Wettbewerbschwächungsgesetz“wäre ehrlicher. Die Krankenkassen sollen zu staatlich gesteuerten Vollzugsorganen der Kostendämpfungspolitik umgebaut werden. Der Wettbewerb der Kassen wird geschwächt und der Weg zur Einheitskasse gebahnt.

4. Die Bundesregierung behauptet:
"Die von Budgets geprägte Honorarsystematik wird abgelöst durch eine Euro-Gebührenordnung."

Wahr ist:
Die Budgetierung im ambulanten Sektor bleibt erhalten. Das heutige Ausgabenvolumen, mit dem sich nicht mehr alles medizinisch Notwendige bezahlen lässt, wird de facto fortgeschrieben.

5. Die Bundesregierung behauptet:
"Das spezifische Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung, das durch geschlechts- und altersbezogene Beiträge sowie die Bildung einer Alterungsrückstellung gekennzeichnet ist, bleibt erhalten."

Wahr ist:
Das Geschäftsmodell der privaten Krankenversicherung (PKV) wird zerstört. Die bestehenden Versicherungssysteme sollen auf niedrigem Niveau angeglichen werden. Dazu wird den privaten Krankenversicherungsunternehmen ein GKV-ähnlicher Basistarif mit Kontrahierungszwang und Verbot der Risikoprüfung auferlegt. Schrittweise sollen die PKV-Vollversicherungstarife zunächst in Basistarife und dann in Zusatztarife umgewandelt und so die PKV als Vollversicherung abgeschafft werden, um den Weg in eine Bürgerversicherung zu bereiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss: Wenn Sie nun meinen, dies alles sei ja noch halbwegs beruflich perspektivisch zu verkraften, sobald wir nur endlich eine neue Gebührenordnung erhalten, dann muss ich sie auch diesbezüglich enttäuschen: Selbst die exzellenten Vorarbeiten der Bundeszahnärztekammer werden, so vermute ich, für unseren Berufsstand wenig positiven Einfluss auf den Regierungsentwurf einer neuen GOZ, den wir in den nächsten Monaten erwarten, haben. Auch hier muss der Berufsstand einer Vorlage des Gesetzgebers nach meiner Auffassung mehr oder weniger ohnmächtig entgegen sehen und auch hier ist der Grund die schon erwähnte Beratungsresistenz der Gesundheitspolitiker der Großen Koalition.

Was also bleibt:

Es bleibt die Feststellung, dass der Zug in Richtung Staatsmedizin längst abgefahren ist. Und es nimmt nicht wunder, dass viele unserer Kolleginnen und Kollegen kaum noch die Hoffnung haben, irgendetwas dagegen tun zu können, und was besonders schlimm ist, nicht einmal mehr den von ihnen gewählten Standesvertretern zutrauen, positive Veränderungen bewirken zu können, was auf dem letzten Deutschen Zahnärztetag in Erfurt deutlich zu spüren war. Ein sicheres Indiz dafür ist auch die Tatsache, dass immer mehr hervorragend ausgebildete Kolleginnen und Kollegen unser Land verlassen und ihr Glück in der Ferne suchen, aber auch der traurige Umstand, dass die Wahlbeteiligung der letzen Kammerwahl der Ärzte in Berlin nur noch 38% betrug, die der Zahnärzte immerhin knapp 42%, beides in diesen für beide Berufsstände harten Zeiten unverständlich wenig.

Es bleibt aber auch der feste Wille, uns nicht entmutigen zu lassen, beharrlich den einmal eingeschlagenen Weg der Freiberuflichkeit in der festen Überzeugung weiter zu gehen, dass nur die Erbringung unserer täglichen Arbeit in herausragender Qualität auf Dauer uns und den Patienten Nutzen bringen wird. Dazu möge, dies ist mein großer Wunsch, auch dieser Zahnärztetag beitragen.

Mein Dank gilt deshalb am Schluss dem wissenschaftlichen Leiter, Herrn Kollegen Volker Strunz, und allen Veranstaltern für die gute Vorbereitung des Zahnärztetages. Mein Dank gilt den Referenten, den Organisatoren, der Dentalindustrie und nicht zuletzt allen zahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen, die durch ihren Teilnahme dem 21. Berliner Zahnärztetag die berechtigte Bedeutung verleihen, die er in den letzten Jahren bekommen hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren: Zusammen mit dem diesjährigen Berliner Zahnärztetag findet der „36. Deutsche Fortbildungskongress für zahnmedizinische Fachangestellte“ als auch der „17. Berliner Zahntechnikertag“ statt. Ich heiße die Besucher auch dieser Veranstaltungen auf das herzlichste willkommen und wünsche ein gutes Gelingen!

Neben der fachlichen Fortbildung wünsche ich allen Besuchern auch Zeit und Gelegenheit, sich im persönlichen Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen austauschen und zueinander zu finden. Mögen die genannten Kongresse und Veranstaltungen und der Besuch des 21. Berliner Zahnärztetages sich für alle Beteiligten und Teilnehmer lohnen! Herzlichen Dank!
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