23.03.2006

Modellprojekt der Zahnärztekammer Berlin motiviert: Mehr Zahngesundheit und bessere Lebensqualität für behinderte Erwachsene in Heimen für 26 Euro jährlich

Presseinformation der Zahnärztekammer Berlin vom 23. März 2006

Mit ermutigenden Ergebnissen ist in Berlin im März 2006 die einjährige Testphase zur Verbesserung der Prophylaxe bei in Heimen lebenden Erwachsenen mit schweren Behinderungen abgeschlossen worden. „Wir Zahnärzte in Deutschland haben auf unserer beeindruckenden Erfolgslandkarte der Präventionsmaßnahmen durchaus noch die eine oder andere schattige Region“, sagte Dr. Wolfgang Schmiedel, Präsident der Zahnärztekammer Berlin zum Abschluss des Modellprojektes in diesen Wohneinrichtungen, „dazu gehört die zahngesundheitliche Situation von Erwachsenen mit schweren Behinderungen. Das Modellprojekt in Berlin schließen wir mit zwei verschiedenen Bilanzen: Zum einen haben die hoch motivierten und sehr engagierten Prophylaxeteams erfahren müssen, dass eine Aufgabe wie diese bedeutet, sehr viel Geduld aufzubringen. In den Heimen für erwachsene Menschen mit Behinderungen geht die Belastung der Pflegenden oft über alle Kräftelimits - sich nun auch noch für Zahnpflege einsetzen zu sollen, hat anfangs durchaus zu Verweigerungshaltungen geführt.“ Viel schöner sei dagegen die zweite Bilanz, die auch ein enormer Anschub für das zahnärztliche Selbstverständnis sei: „Wir haben erleben dürfen, und das berührt mich sehr, dass unsere Teams Mut gemacht haben, das Thema Zahnpflege anzugehen. In einem Großteil der Heime wurde dringend darum gebeten, die Hilfe zur Selbsthilfe durch die Prophylaxe-Teams fortzusetzen. Wir haben das als Auftrag verstanden und uns bereits darum bemüht, dies zu erreichen.“

„Öffentlich ein großes Lob“
Die Zeichen dafür stehen offensichtlich gut: Staatssekretär Dr. Hermann Schulte-Sasse, der an der Informationsveranstaltung als Gast teilgenommen hatte, betonte in einem kurzen Statement auf Nachfrage von
Dr. Schmiedel die Wichtigkeit dieses Projektes, das nicht nur für die Mundgesundheit, sondern auch für die Lebensqualität der Erwachsenen mit schweren Behinderungen bedeutend sei. Die Chancen der Prophylaxe-Maßnahmen gingen weit über die Zahngesundheit hinaus. Er sprach der Zahnärztekammer, aber auch allen Berliner Zahnärzten "öffentlich ein großes Kompliment" aus, sich sogar mit einem eigenen Verein (Anm: dem Hilfswerk Zahnmedizin Berlin) vorbildlich für die zahngesundheitlichen Belange der sozial besonders schwachen Berliner Mitbürger einzusetzen. Mit Blick auf das bei dieser Veranstaltung präsentierte Projekt für mehr Prophylaxe bei Erwachsen mit schweren Behinderungen sagte er die Unterstützung der Senatsverwaltung zu und das Engagement seines Hauses, sich auch bei den Krankenkassen "im Rahmen ihrer rechtlichen Möglichkeiten" für eine Finanzierung zur Weiterführung einzusetzen: "An den 26.000 Euro darf das nicht scheitern!" Der Solidargedanke spiele gerade in der Gesetzlichen Krankenversicherungen eine große Rolle. Erste Gespräche hinsichtlich der Finanzierung der Weiterführung der Maßnahmen wurden bereits geführt und eine positive Einschätzung des Projektes signalisiert. Der Präsident der Zahnärztekammer Berlin, Dr. Wolfgang Schmiedel, betonte, es handele sich um ein "Projekt der Nächstenliebe, das weitergehen muss." Die Finanzierung der Fortführung sei "auch hinsichtlich der Vermeidung von Folgekosten durch Zahn- und Munderkrankungen ganz sicher gut angelegtes Geld."

Bilanz mit berührenden Ergebnissen
Anlässlich der Informationsveranstaltung im Haus der Stephanus-Stiftung in Berlin am 22. März 2006 aus Anlass des Abschlusses der Pilotphase berichtete Dr. Imke Kaschke, Vorsitzende des Arbeitskreises Zahnärztliche Behindertenbehandlung der Zahnärztekammer Berlin, über das Projekt und seine Ergebnisse. Die Pilotphase hatte sich erstreckt von Januar 2005 bis März 2006. Drei Teams mit je zwei zahnmedizinischen Fachangestellten (Praxis Prestin und LAG Berlin) haben in 11 der 12 Berliner Stadtbezirke insgesamt 56 Wohneinrichtungen besucht und 345 Betreuer geschult sowie 940 Bewohner in die Prophylaxe einbezogen; die Gesamtkosten in Höhe von 26.000 € hat das Berliner Hilfswerk Zahnmedizin bereitgestellt. Geleistet wurde dafür zweimal jährlich eine theoretische Fortbildung der Betreuer und praktische Mundhygienemaßnahmen mit den Bewohnern, einschließlich der Verbrauchsmaterialien. „Mit letztlich 26 Euro Kosten pro Bewohner für ein Jahr Betreuung haben wir für die in Heimen lebenden Erwachsenen mit schweren Behinderungen ein Plus an Lebensqualität und auch Gesundheit erreicht“, sagte Dr. Kaschke zur fachlichen Bilanz des Modellprojektes, das durch die Abteilung für Gesundheitspsychologie der FU begleitet wurde. Als Ergebnis konnte festgehalten werden:
  • Es wurde eine nachhaltige Verbesserung in der Mundhygiene erreicht. Bereits nach drei Monaten putzten die Betreuer mit den Bewohnern um die Hälfte länger als zu Beginn des Projektes, 21 % der Betreuer verlegten die Zahnpflege von der Phase vor dem Frühstück auf die Zeit nach dem Frühstück, und jeder dritte Betreuer wechselte nicht nur regelmäßig die Zahnbürsten, sondern nutzte auch behindertengerechte Zahnbürsten und Hilfsmittel.

  • Die einhergehende Verbesserung der Mundgesundheit verbessert auch die soziale Akzeptanz der Heimbewohner, verringert die Belastungen für die Bewohner durch zahnärztliche Behandlungen und somit Folgen ungepflegter Zähne hinsichtlich Folgeerkrankungen, aber auch Kosten.

  • Ein großes Plus ist die verbesserte Motivation, der Fertigkeiten und vor allem des Selbstvertrauens der Betreuer, die mittlerweile die Zahnpflege in den gesamten Pflegeablauf fest einplanen und auch Lösungen für schwierige Situationen entwickeln. Viele haben erst durch dieses Modellprojekte eine realistische Einschätzung des Mundgesundheitszustandes der Bewohner gewinnen können und Möglichkeiten kennen gelernt, individuelle Unterstützung zu entwickeln und korrekte Zahnpflege zu leisten.
„Zur langfristigen und nachhaltigen Sicherung der Erfolge sind ganz sicher mindestens einmal jährlich Nachfolgebesuche nötig“, erwartet
Dr. Kaschke, der die gesundheits-psychologische Begleitung und Bewertung des Projektes durch Fragebogen zur Wissens- und Motivationskontrolle wichtige Grundlagen vermittelte: „Unsere Teams haben erlebt, dass der Anteil der „Zahnputzverweigerer“ unter den Betreuern schon beim zweiten Besuch deutlich sank, zuletzt wurden sie mit offenen Armen begrüßt und bereits erwartet, manche Bewohner kannten die Prophylaxeteams sogar namentlich. Es ist bewegend, wie viel man mit so wenig Aufwand erreichen kann – für die Zahngesundheit, aber auch für die Seelen der Menschen. Das bezieht sich nicht nur auf die Bewohner: Die Betreuer schauen heute anders in den Mund, sie fühlen sich sogar verantwortlich für die Zähne ihrer Schützlinge und auch kompetent, hier individuelle Mundhygiene leisten zu können.“ Eine Verbesserung der Situation für die Bewohner, das wurde nachdrücklich klar, ist nur über eine Verbesserung von Motivation und Fähigkeiten der Betreuer zu erreichen. Dr. Kaschke: „Das Modell ist ein Betreuer-Projekt. Das Ergebnis zeigt uns: Wir werden nie alle erreichen und einbinden können. Aber wir können mit ansehen, wie unsere Saat aufgeht und Mut und Können immer breiteren Raum einnehmen und die Zahngesundheit der Heimbewohner ebenso wächst wie ihre spürbare Freude über diese neue Lebensqualität.“

Literaturtipp für Interessierte:
Zielgruppe Zahnärztinnen und Zahnärzte, Prophylaxe-
mitarbeiterinnen(er), Eltern und Angehörige von Menschen mit Behinderung, Betreuungs- und Pflegekräfte

„Zahngesundheit bei Menschen mit Behinderung - Prophylaxe, Pflege und Behandlung“
Herausgeber: Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V., Düsseldorf, Neuerscheinung März 2006
Texte u.a. von Prof. Dr. P. Cichon / Uni Witten-Herdecke, Dr. G. Elsäßer, / Betreuungszahnarzt Diakonie Stetten, OÄ Dr. I. Kaschke / Charité Berlin, OA Dr. St. Klar / Uni Witten-Herdecke), Dr. D. Petzold / Charité Berlin, Dr. L. Piehlmeier, Dr. S. Ziller / BZÄK u.a.

Inhalt: Themen wie Zahngesundheit bei Menschen mit Behinderung, Besonderheiten präventiv-zahnmedizinischer Maßnahmen, Behandl8ungsmöglichkeiten in Allgemeinnarkose, Besonderheiten der Parodontalbehandlungen und prothetiscvhen Versorgung, Informationen und Adressen. Alle Autorinnen und Autoren des Themenmagazins sind aus ihrem Praxis- und Klinikalltag mit den Problemen und Aufgaben der zahnärztlichen Behandlung behinderter Menschen vertraut. Fachkundig schreiben sie über Prophylaxemaßnahmen, geeignete Hilfsmittel und Behandlungsmöglichkeiten. Ein ausführlicher Adress- und Kontaktteil ergänzt die Fachbeiträge.

Kosten: Euro 7,50 (incl. Porto u. Verp.)
Bestellung: per Fax / schriftlich an Bundesverband für Körper- und Mehrfachbehinderte e.V., Brehmstr. 5-7, 40239 Düsseldorf
Tel. 0211/64004-0, Fax. 0211 / 64004-20
e-mail: verlag@bvkm.de, www.bvkm.de
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