01.01.2006
wieder ist ein Jahr vorbei, und es gilt, Bilanz zu ziehen, aber auch den Blick nach vorne zu richten: Was hat uns bewegt, womit haben wir uns beschäftigt, was haben wir erreicht, welche Aufgaben liegen noch vor uns und welches sind unsere Wünsche und Ziele für das vor uns liegende Jahr?
Beginnen wir zunächst mit dem Versuch, die spannende Frage „wohin geht die Zahnmedizin?“ zu beantworten. Bekanntlich hat sich die Idee des Mediziners, des Arztes, in den zurückliegenden Jahrtausenden mehrfach gewandelt. In Urzeiten war sie geprägt vom animistischen Denken archaischer Kulturen, ihre Heiler waren Magier und Schamanen, später hat die Heilkunde oft das Weltbild großer Kulturreligionen übernommen, ihre Ärzte trugen priesterliche Züge. Bei den hippokratischen Medizinern gingen ärztliche Kunst und die philanthropische Rolle des Arztes als Freund Hand in Hand. Bei Sokrates und Plato spielte der dialoggewandte „doctor“, der Pädagoge, die zentrale Rolle. Im Christentum der Frühzeit und des Mittelalters war der Arzt in erster Linie ein barmherziger Samariter. Seit dem 19. Jahrhundert wird er immer mehr zum kenntnisreichen naturwissenschaftlichen Experten, dessen immer perfekter werdende Heilkunst als folgerichtiges Produkt seines mechanistischen Welt- und Menschenbildes anzusehen ist. Nach meiner Auffassung ist es offenkundig, dass die heutigen Universitäten und die Studien von Medizin und Zahnmedizin zu sehr und teilweise einseitig auf diese „moderne“ Arztidee eines heiltechnischen „Experten“ eingeschworen sind und dabei die legitime Erwartung des Patienten, der gerade in den letzten Jahren verstärkt auch die mitfühlende Partnerschaft im Sinne der oben genannten Elemente und Qualitäten früherer Arztbilder wünscht, aus den Augen verlieren.
Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass die heutige Bevölkerung so krank ist wie nie. Jeden Tag bleiben in Deutschland im Jahr 5 -10% der gesamten arbeitsfähigen Menschen wegen akuter Beschwerden krank zu Hause, und der Anteil der chronischen und degenerativen Leiden wächst kontinuierlich und nimmt bedrohliche Ausmaße an. Spätestens hier stellt sich die Frage nach einem rigorosen Umdenken ärztlichen und zahnärztlichen Selbstverständnisses. Die gesellschaftliche Verantwortung unseres Berufsstandes fordert nach meinem Dafürhalten eine grundlegende Wandlung der inneren Einstellung, weg vom „an Krankheiten verdienen“ hin zu „der Gesundheit dienen“.
Erste Ansätze sind zu erkennen: Die zwingende kollegiale interdisziplinäre Zusammenarbeit zum Wohle der Patienten ist erkannt worden und nimmt zu, der zurückliegende „Deutsche Zahnärztetag“ von Berlin hat diesbezüglich ein starkes Signal gesetzt. Auch die vom Präsidenten der DGZMK, Professor Georg Meyer, beharrlich vorgetragene These „Zahnmedizin ist Medizin“ ist dabei nachhaltig zu unterstützen. Unverständlich, ja inakzeptabel hingegen ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass in der neuen Approbationsordnung für Ärzte die Zahnmedizin nur noch am Rande erwähnt ist.
Quo vadis, Berlin?
Was hat nun die Kollegenschaft in Berlin im zurückliegenden Jahr am meisten beschäftigt? Es war dies nicht die von mir gewünschte Diskussion um eine inhaltliche Neubestimmung und damit zukunftsorientierte Zahn“medizin“, es war nicht eine dringend erforderliche Diskussion um unsere zahnärztliche Berufsordnung, es war nicht eine europafeste Neubeschreibung unserer bestehenden Weiterbildungsordnungen, es war nicht die intensive Diskussion um die (ganz sicher negativen) finanziellen Auswirkungen der zu erwartenden neuen GOZ, und es war schon gar nicht die Beschäftigung mit der „Europäischen Dienstleistungsrichtlinie“ oder „Europäischen Richtlinie zur Berufsqualifikation“, welche ich in meinem Leitartikel in den „MBZ“ vom April 2005 angesprochen habe, und welche nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Ausübung unseres Berufes haben dürften.
Nein, in Berlin waren die berufspolitischen Auseinandersetzungen geprägt von wochenlangen Diskussionen über vermeintlich unrechtmäßig bezogene Sitzungs- bzw. Übergangsgelder. Diese Debatten, die ganz sicher ihre Berechtigung hatten, wurden dabei nicht nur in den dafür vorgesehenen Gremien geführt, sondern fanden ihren Niederschlag durch gezielte Weitergabe in den Medien, welche dieses Thema in Ermangelung anderer politischer Inhalte gierig aufgriffen. In Kenntnis der beschriebenen Vorgänge sage ich in aller Deutlichkeit: Die lückenlose Aufarbeitung von Fehlern, die inzwischen eingeräumt sind, ist für den inneren Frieden der Berliner Zahnärzteschaft von großer Wichtigkeit.
Allerdings halte ich dies nach wie vor für eine Aufgabe der zahnärztlichen Selbstverwaltung, in dessen Reihen viele unserer klügsten Köpfe sitzen, und vor allem auch traue ich dies den entsprechenden Gremien vorbehaltlos zu. Eine Überziehung unserer Körperschaften mit Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt auf Grund von Anzeigen von Kollegen gegen Kollegen kann hingegen der gemeinsamen Sache nur abträglich sein und fügt den betroffenen Personen und, dies ist genau so schlimm, unserem zahnärztlichen Berufsstand in Berlin und darüber hinaus nachhaltig schwersten Schaden zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich wünsche mir und uns allen, dass das vor uns liegende Jahr geprägt sein wird von dringenderen berufs“politischen“ Diskussionen, die sich vor allem mit Problemen befassen, welche uns in unserer freiheitlichen Berufsausübung beschneiden könnten. Hier gilt es, alle Berliner Gruppierungen an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam Konzepte zu entwickeln, die dafür Sorge tragen, dass auch in Zukunft die Erbringung unserer täglichen Arbeit in guter Qualität und zu adäquater Honorierung möglich ist. Beschäftigen wir uns deshalb nicht so sehr mit uns selbst, sondern schauen wir gemeinsam über den Tellerrand nach vorn!
In diesem Sinne wünsche ich uns und Ihnen allen ein gutes und erfolgreiches Neues Jahr!
Und vergessen Sie nicht:
Aegroti salus suprema lex!
Dr. Wolfgang Schmiedel
Quo vadis, Zahnärzte, quo vadis Berlin?
Leitartikel MBZ 1/06
Liebe Kolleginnen und Kollegen,wieder ist ein Jahr vorbei, und es gilt, Bilanz zu ziehen, aber auch den Blick nach vorne zu richten: Was hat uns bewegt, womit haben wir uns beschäftigt, was haben wir erreicht, welche Aufgaben liegen noch vor uns und welches sind unsere Wünsche und Ziele für das vor uns liegende Jahr?
Beginnen wir zunächst mit dem Versuch, die spannende Frage „wohin geht die Zahnmedizin?“ zu beantworten. Bekanntlich hat sich die Idee des Mediziners, des Arztes, in den zurückliegenden Jahrtausenden mehrfach gewandelt. In Urzeiten war sie geprägt vom animistischen Denken archaischer Kulturen, ihre Heiler waren Magier und Schamanen, später hat die Heilkunde oft das Weltbild großer Kulturreligionen übernommen, ihre Ärzte trugen priesterliche Züge. Bei den hippokratischen Medizinern gingen ärztliche Kunst und die philanthropische Rolle des Arztes als Freund Hand in Hand. Bei Sokrates und Plato spielte der dialoggewandte „doctor“, der Pädagoge, die zentrale Rolle. Im Christentum der Frühzeit und des Mittelalters war der Arzt in erster Linie ein barmherziger Samariter. Seit dem 19. Jahrhundert wird er immer mehr zum kenntnisreichen naturwissenschaftlichen Experten, dessen immer perfekter werdende Heilkunst als folgerichtiges Produkt seines mechanistischen Welt- und Menschenbildes anzusehen ist. Nach meiner Auffassung ist es offenkundig, dass die heutigen Universitäten und die Studien von Medizin und Zahnmedizin zu sehr und teilweise einseitig auf diese „moderne“ Arztidee eines heiltechnischen „Experten“ eingeschworen sind und dabei die legitime Erwartung des Patienten, der gerade in den letzten Jahren verstärkt auch die mitfühlende Partnerschaft im Sinne der oben genannten Elemente und Qualitäten früherer Arztbilder wünscht, aus den Augen verlieren.
Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass die heutige Bevölkerung so krank ist wie nie. Jeden Tag bleiben in Deutschland im Jahr 5 -10% der gesamten arbeitsfähigen Menschen wegen akuter Beschwerden krank zu Hause, und der Anteil der chronischen und degenerativen Leiden wächst kontinuierlich und nimmt bedrohliche Ausmaße an. Spätestens hier stellt sich die Frage nach einem rigorosen Umdenken ärztlichen und zahnärztlichen Selbstverständnisses. Die gesellschaftliche Verantwortung unseres Berufsstandes fordert nach meinem Dafürhalten eine grundlegende Wandlung der inneren Einstellung, weg vom „an Krankheiten verdienen“ hin zu „der Gesundheit dienen“.
Erste Ansätze sind zu erkennen: Die zwingende kollegiale interdisziplinäre Zusammenarbeit zum Wohle der Patienten ist erkannt worden und nimmt zu, der zurückliegende „Deutsche Zahnärztetag“ von Berlin hat diesbezüglich ein starkes Signal gesetzt. Auch die vom Präsidenten der DGZMK, Professor Georg Meyer, beharrlich vorgetragene These „Zahnmedizin ist Medizin“ ist dabei nachhaltig zu unterstützen. Unverständlich, ja inakzeptabel hingegen ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass in der neuen Approbationsordnung für Ärzte die Zahnmedizin nur noch am Rande erwähnt ist.
Quo vadis, Berlin?
Was hat nun die Kollegenschaft in Berlin im zurückliegenden Jahr am meisten beschäftigt? Es war dies nicht die von mir gewünschte Diskussion um eine inhaltliche Neubestimmung und damit zukunftsorientierte Zahn“medizin“, es war nicht eine dringend erforderliche Diskussion um unsere zahnärztliche Berufsordnung, es war nicht eine europafeste Neubeschreibung unserer bestehenden Weiterbildungsordnungen, es war nicht die intensive Diskussion um die (ganz sicher negativen) finanziellen Auswirkungen der zu erwartenden neuen GOZ, und es war schon gar nicht die Beschäftigung mit der „Europäischen Dienstleistungsrichtlinie“ oder „Europäischen Richtlinie zur Berufsqualifikation“, welche ich in meinem Leitartikel in den „MBZ“ vom April 2005 angesprochen habe, und welche nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Ausübung unseres Berufes haben dürften.
Nein, in Berlin waren die berufspolitischen Auseinandersetzungen geprägt von wochenlangen Diskussionen über vermeintlich unrechtmäßig bezogene Sitzungs- bzw. Übergangsgelder. Diese Debatten, die ganz sicher ihre Berechtigung hatten, wurden dabei nicht nur in den dafür vorgesehenen Gremien geführt, sondern fanden ihren Niederschlag durch gezielte Weitergabe in den Medien, welche dieses Thema in Ermangelung anderer politischer Inhalte gierig aufgriffen. In Kenntnis der beschriebenen Vorgänge sage ich in aller Deutlichkeit: Die lückenlose Aufarbeitung von Fehlern, die inzwischen eingeräumt sind, ist für den inneren Frieden der Berliner Zahnärzteschaft von großer Wichtigkeit.
Allerdings halte ich dies nach wie vor für eine Aufgabe der zahnärztlichen Selbstverwaltung, in dessen Reihen viele unserer klügsten Köpfe sitzen, und vor allem auch traue ich dies den entsprechenden Gremien vorbehaltlos zu. Eine Überziehung unserer Körperschaften mit Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt auf Grund von Anzeigen von Kollegen gegen Kollegen kann hingegen der gemeinsamen Sache nur abträglich sein und fügt den betroffenen Personen und, dies ist genau so schlimm, unserem zahnärztlichen Berufsstand in Berlin und darüber hinaus nachhaltig schwersten Schaden zu.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Ich wünsche mir und uns allen, dass das vor uns liegende Jahr geprägt sein wird von dringenderen berufs“politischen“ Diskussionen, die sich vor allem mit Problemen befassen, welche uns in unserer freiheitlichen Berufsausübung beschneiden könnten. Hier gilt es, alle Berliner Gruppierungen an einen Tisch zu bringen, um gemeinsam Konzepte zu entwickeln, die dafür Sorge tragen, dass auch in Zukunft die Erbringung unserer täglichen Arbeit in guter Qualität und zu adäquater Honorierung möglich ist. Beschäftigen wir uns deshalb nicht so sehr mit uns selbst, sondern schauen wir gemeinsam über den Tellerrand nach vorn!
In diesem Sinne wünsche ich uns und Ihnen allen ein gutes und erfolgreiches Neues Jahr!
Und vergessen Sie nicht:
Aegroti salus suprema lex!
Dr. Wolfgang Schmiedel