10.05.2006

Viele Familien überfordert: Zahnärztekammer Berlin erlebt Zahngesundheit als Gradmesser für psychosoziale Chancen

Presseinformation der Zahnärztekammer Berlin vom 10. Mai 2006

Wer sich für die Förderung der zahngesundheitlichen Entwicklung von Kindern engagiert, kommt an der Mundgesundheit ihrer Eltern nicht vorbei: Ist diese vernachlässigt, stehen auch die Chancen für die Kinder schlecht, einen Ausweg aus ihrer in der Regel schlechten Zahngesundheit, gemessen in „dmf-t“-Werten, zu finden. Denn Zahngesundheit braucht Nachhaltigkeit – und Kinder brauchen in ihren Familien Eltern, die auch in diesem Punkt ihrer Fürsorgeverpflichtung nachkommen. Wenn sich die Eltern nicht um die Zahngesundheit ihrer Kinder kümmern, tun sie dies meist auch in anderen Bereichen nicht. Dies bestätigte ein intensiver Erfahrungsaustausch zwischen dem Präsidenten der Berliner Zahnärztekammer, Dr. Wolfgang Schmiedel, der Charlottenburger Bezirksstadträtin Martina Schmiedhofer und Dr. Sylvia Neubelt vom Zahnärztlichen Dienst des Bezirks. Anlass des Treffens war ein Ortstermin im sozial schwachen Kiez Klausenerplatz, in dem ein von der Zahnärztekammer Berlin initiiertes Modellprojekt zur Förderung der Mundgesundheit gerade in die zweite Phase ging. An Schülerinnen und Schülern einer 2. Klasse einer Sonderschule für verhaltensauffällige Kinder demonstrierten der Zahnärztliche Dienst und eine Mitarbeiterin der Landesarbeitsgemeinschaft zur Verhütung von Zahnerkrankungen (LAG) einerseits, welche Kenntnisse die rund 8 – 9 Jahre alten Kinder (vor allem aus Migrationsfamilien) trotz früherer Prophylaxe-Impulse noch in Erinnerung hatten („Man muss dreimal in der Woche zum Zahnarzt zur Kontrolle“), aber auch, wie wenig sich manche Eltern trotz aller individuellen Maßnahmen des Zahnärztlichen Dienstes um ihre Kinder kümmern: „Wir haben Fälle, da haben wir den Eltern schon vor einem Jahr gesagt: Das Kind muss dringend zum Zahnarzt,“ berichtete Dr. Neubelt, „und heute sehen wir: Es ist nur schlimmer geworden, und keiner unserer Kollegen in den Praxen hat offensichtlich je eine Chance gehabt, hier einzugreifen.“ Selbst Verletzungen blieben unversorgt: „Wir haben bei einem der Jungs gesehen, dass ihm an beiden Schneidezähnen große Ecken fehlten“, erlebte Dr. Schmiedel, der die einzelnen Schritten der Prophylaxeprogramms intensiv beobachtete und danach mit den Beteiligten diskutierte. „ Ein typischer Unfall beim Toben. Zum Zahnarzt gegangen sind die Eltern mit ihrem mindestens zahnverletzten Kind aber leider nicht.“

Eltern kümmern sich immer weniger

Hinsichtlich des Kümmerns der Eltern um ihre Kinder sei leider ein Abwärtstrend zu beobachten, bestätigte Dr. Neubelt, obwohl der Zahnärztliche Dienst ein verhältnismäßig engmaschiges Netz zur Betreuung von Familien in schwierigen Verhältnissen entwickelt habe: „Vor allem wenn es um Kieferorthopädie geht – da scheitern unsere Bemühungen oft an den Kosten der so genannten Eigenbeteiligung. Die meisten Familien wissen noch immer nicht, dass diese Eigenbeteiligung am Ende der kieferorthopädischen Behandlung zu 100% erstattet wird, dass es ein Darlehensprogramm extra dafür gibt oder auch Teilzahlung möglich ist – aber wer um jeden Euro ringt wie viele Hartz-IV-Familien, der spart spürbar auch an der Zahngesundheit.“ Erkennbar war dies bei einigen der an diesem Tag untersuchten Kinder – sie hatten Engstände, die bald behoben werden müssten, um gesundheitliche Spätschäden mit erheblichen finanziellen Folgen zu vermeiden.

Plädoyer für mehr Milchzahn-Versorgung
„Unsere Arbeit wird mehr und mehr zur Sozialarbeit“, beschreibt Dr. Neubelt die Veränderungen in ihrer langjährigen Arbeit, „aber wenn man etwas für sozial schwache Kinder tun will, geht das oft nur auf dem Umweg über die Eltern und durch Hilfe im für sie undurchsichtigen Dschungel rund um die gesundheitliche Versorgung und deren Kosten.“ Kritisiert wurde beim Erfahrungsaustausch nach dem Termin mit den Kindern aber auch die Zurückhaltung mancher Zahnärzte, kariöse Milchzähne zu versorgen, da diese ohnehin ausfielen: „Sie können jedoch im erkrankten Zustand ihre verschiedenen Funktionen nicht erfüllen und haben als Bakterienschlupfwinkel negative Auswirkungen auf die übrigen Zähne“, so Dr. Schmiedel, „Es ist unsere Verpflichtung auf die Zukunft, auch Milchzähne so lange gesund im Mund zu erhalten, bis ihre natürliche Aufgabe erfüllt ist!“

Der engagierte Einsatz des Zahnärztlichen Dienstes und der LAG-Teams fand große Anerkennung bei Dr. Schmiedel und bei Gesundheitsstadträtin Schmiedhofer. Es wurde verabredet, dass beide Seiten entsprechend ihrer Möglichkeiten und Aufgaben die gerade in sozial schwachen Gebieten wichtige Zahngesundheitsförderung durch engagierte Teams aus LAG und Zahnärztlichem Dienst unterstützen.
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