07.11.2006
Nach Abschluss des Modellprojektes ein Jahr später, zum Tag der Zahngesundheit 2006, wurden die einzelnen Module hinsichtlich ihres Erfolges und der Akzeptanz durch die Kiez-Bevölkerung überprüft. Dabei haben sich zahlreiche Muster und Aspekte ergeben, die sich als Vorgehensweise auch für andere klar begrenzte Regionen und Gemeinden in Deutschland anbieten – es gab aber auch leider deutliche Misserfolge. Nicht angenommen wurden von der Zielgruppe so gut wie alle Maßnahmen, die ein „Hingehen“ verlangten: Der Tag der offenen Praxistür, Infoabend im Kiezbüro und ähnliche Angebote.
Im Gegensatz dazu waren Maßnahmen, die „aufsuchend“ waren oder „einfach da“, wo die Bevölkerung auch war, auf fast schon berührende Weise von Erfolg gekrönt. „Wenn wir quasi als Streetworker für die Mundgesundheit auftauchten“, zog Dr. Sylvia Neubelt vom Zahnärztlichen Dienst eine Bilanz der Einsätze, „bei Bedarf unterstützt von türkischsprachigen Mitakteuren, waren wir geradezu von einer Woge an Sympathie und Aufmerksamkeit umgeben.“ Einer der schönsten Erfolge war ein Infonachmittag auf dem zentralen Kinderspielplatz im Kiez: Zusammen mit einem Infostand und einem LAG-Ratespiel war das Team vor Ort zwischen Sandkasten und Rutsche. Ausgestattet mit einem Infokorb voller Mundhygieneinformationen und Mundpflegeprodukte wurden Mütter auf den Bänken angesprochen und ihnen die wichtigsten Informationen nahe gebracht, bei Bedarf sprachlich unterstützt durch eine türkischsprachige LAG-Mitarbeiterin mit einem Hand-Krocko. So ergab sich allein an diesem Nachmittag eine entspannte individuelle Beratung von über 50 Müttern, darunter viele aus Migrantenfamilien sowie Hartz-IV-Empfänger, für die das Aufsuchen einer Beratungsstelle oder Praxis eine bisher unüberwindbare Hürde dargestellt hatte. Bei diesen intensiven persönlichen Gesprächen wurden auch zahlreiche behandlungsbedürftige Zahnprobleme der dazugehörenden Kinder festgestellt und Tipps gegeben, wo und wie ein Familienzahnarzt gesucht und gefunden werden kann. Einen „Hauszahnarzt“ hatten bis dato nur wenige. Auch Infostände z.B. vor dem Second-Hand-Kinderladen im Kiez oder der zentralen Apotheke mit hohem Anteil türkischer Kunden wurden außerordentlich gut angenommen.
„Das zeigt“, zieht Dr. Wolfgang Schmiedel eine Bilanz für die Zahnärztekammer, „dass es oft nicht großer Konzepte und teurer Programme bedarf, um wichtige Dinge zu erreichen, sondern eigentlich genau der Dinge, die einen Teil unseres Berufes ausmachen: Zeit und ‚Sprechstunde’, und zwar dort, wo die Menschen sind. Wir könnten vermutlich viel mehr erreichen gerade bei den soziökonomisch schwachen Familien, wenn wir den Mut haben, aus der Praxis herauszugehen und wenige Stunden im Jahr zu opfern für einen ‚Dienst vor Ort’. Der Spielplatz beispielsweise ist eine erstklassige Adresse, und wir werden in Berlin zu weiteren solchen Aktionen anregen. Es muss von den Menschen ausgehen, wenn man Menschen erreichen will, und man muss glaubhaft und entgegenkommend sein, wie dies vor allem die Teams um Dr. Neubelt vorbildlich gezeigt haben: Dann können wir auch solche Familien integrieren, die sich bisher nicht getraut oder sich verweigert haben.“
Voraussetzung für solche Aktionen sei eine „Arbeitsgemeinschaft“ im Hintergrund, die Veranstaltungen plant und organisiert, um Überschneidungen zu vermeiden, aber auch, um eine Vielzahl verschiedener Projektpartner aus der Umgebung einzubeziehen und sei es als Werbeträger: „Bäcker, Kioske, Schulen, und warum nicht auch der Einkaufsladen an der Ecke? Wir müssen dort sein, wo die Menschen hingehen, die wir bei uns in den Praxen vermissen.“ Wenn sich zum Start 2007 einige Engagierte zusammenfinden, sind sicher mit Beginn der wärmeren Tage erste Aktionen realisierbar: „Streetworking für die Zahngesundheit ist eine hoch ehrenhafte und auch wichtige Aufgabe, und wir müssen uns bei denen bedanken, die hier Brücken bauen zwischen der Bevölkerung und unseren Praxen.“
Im Rahmen der Aktion ergaben sich auch einige strukturelle Defizite, die erst durch die Aktionsreihe erkannt wurden und nun angegangen werden sollen: So wird derzeit die Berliner Schullandschaft auf Ganztagsschuldienst umgestellt mit dem Angebot von Mittagessen: „Aber man hat keine Waschbecken eingeplant, wo die Kinder Zähne putzen können. Das wurde schlichtweg vergessen“, stellte Dr. Schmiedel mit Bedauern fest. Die Kammer werde sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Schulverwaltung diesen Missstand erkennt und möglichst zeitnah behebt.
Zahnärztekammer Berlin zieht Bilanz ihres Kiez-Projektes: „Streetworker“ beste Botschafter für Prophylaxe
Presseinformation der Zahnärztekammer Berlin vom 7. November 2006
Zum Tag der Zahngesundheit 2005 hatte die Zahnärztekammer Berlin in einem sozioökonomisch schwachen Stadtteil (Kiez Klausenerplatz / Berlin) mit hohem Migrantenanteil ein Modellprojekt gestartet. Ziel war es, Maßnahmen zu erproben, um möglichst viele Eltern, die nicht die üblichen Informationsangebote annehmen, zu erreichen und für die Zahngesundheit ihrer Kinder zu sensibilisieren. Der Kiez Klausenerplatz, in direkter Nachbarschaft zum Sitz der Zahnärztekammer, wurde deshalb für das Modellprojekt ausgewählt, weil die Mundgesundheitsdaten hier – nicht unerwartet bei der Struktur der Bevölkerung – im Berliner Vergleich einen der niedrigsten Werte hat. Die Erfahrungen des Zahnärztlichen Dienstes untermauerten die Notwendigkeit: Bei den üblichen Kontrolluntersuchungen an Grundschulkindern zeigten sich viele Zahnzustände, die auf „mangelndes Interesse oder mangelndes Können der Eltern“ schließen ließen. Gemeinsam mit dem Zahnärztlichen Dienst Charlottenburg, mit der LAG (Landesarbeitsgemeinschaft Berlin zur Verhütung von Zahnerkrankungen) und engagierten Akteuren aus dem Kiez (Zahnarzt, Apotheke, Kiezbüro und viele Unterstützer) wurde ein Konzept erarbeitet, das verschiedene Wege für das Erreichen der Eltern/Mütter und auch der Jugendlichen vorlegte – gerade in Familien mit Migrationshintergrund spielen die größeren Kinder als „Übersetzer“ eine wichtige Rolle.Nach Abschluss des Modellprojektes ein Jahr später, zum Tag der Zahngesundheit 2006, wurden die einzelnen Module hinsichtlich ihres Erfolges und der Akzeptanz durch die Kiez-Bevölkerung überprüft. Dabei haben sich zahlreiche Muster und Aspekte ergeben, die sich als Vorgehensweise auch für andere klar begrenzte Regionen und Gemeinden in Deutschland anbieten – es gab aber auch leider deutliche Misserfolge. Nicht angenommen wurden von der Zielgruppe so gut wie alle Maßnahmen, die ein „Hingehen“ verlangten: Der Tag der offenen Praxistür, Infoabend im Kiezbüro und ähnliche Angebote.
Im Gegensatz dazu waren Maßnahmen, die „aufsuchend“ waren oder „einfach da“, wo die Bevölkerung auch war, auf fast schon berührende Weise von Erfolg gekrönt. „Wenn wir quasi als Streetworker für die Mundgesundheit auftauchten“, zog Dr. Sylvia Neubelt vom Zahnärztlichen Dienst eine Bilanz der Einsätze, „bei Bedarf unterstützt von türkischsprachigen Mitakteuren, waren wir geradezu von einer Woge an Sympathie und Aufmerksamkeit umgeben.“ Einer der schönsten Erfolge war ein Infonachmittag auf dem zentralen Kinderspielplatz im Kiez: Zusammen mit einem Infostand und einem LAG-Ratespiel war das Team vor Ort zwischen Sandkasten und Rutsche. Ausgestattet mit einem Infokorb voller Mundhygieneinformationen und Mundpflegeprodukte wurden Mütter auf den Bänken angesprochen und ihnen die wichtigsten Informationen nahe gebracht, bei Bedarf sprachlich unterstützt durch eine türkischsprachige LAG-Mitarbeiterin mit einem Hand-Krocko. So ergab sich allein an diesem Nachmittag eine entspannte individuelle Beratung von über 50 Müttern, darunter viele aus Migrantenfamilien sowie Hartz-IV-Empfänger, für die das Aufsuchen einer Beratungsstelle oder Praxis eine bisher unüberwindbare Hürde dargestellt hatte. Bei diesen intensiven persönlichen Gesprächen wurden auch zahlreiche behandlungsbedürftige Zahnprobleme der dazugehörenden Kinder festgestellt und Tipps gegeben, wo und wie ein Familienzahnarzt gesucht und gefunden werden kann. Einen „Hauszahnarzt“ hatten bis dato nur wenige. Auch Infostände z.B. vor dem Second-Hand-Kinderladen im Kiez oder der zentralen Apotheke mit hohem Anteil türkischer Kunden wurden außerordentlich gut angenommen.
„Das zeigt“, zieht Dr. Wolfgang Schmiedel eine Bilanz für die Zahnärztekammer, „dass es oft nicht großer Konzepte und teurer Programme bedarf, um wichtige Dinge zu erreichen, sondern eigentlich genau der Dinge, die einen Teil unseres Berufes ausmachen: Zeit und ‚Sprechstunde’, und zwar dort, wo die Menschen sind. Wir könnten vermutlich viel mehr erreichen gerade bei den soziökonomisch schwachen Familien, wenn wir den Mut haben, aus der Praxis herauszugehen und wenige Stunden im Jahr zu opfern für einen ‚Dienst vor Ort’. Der Spielplatz beispielsweise ist eine erstklassige Adresse, und wir werden in Berlin zu weiteren solchen Aktionen anregen. Es muss von den Menschen ausgehen, wenn man Menschen erreichen will, und man muss glaubhaft und entgegenkommend sein, wie dies vor allem die Teams um Dr. Neubelt vorbildlich gezeigt haben: Dann können wir auch solche Familien integrieren, die sich bisher nicht getraut oder sich verweigert haben.“
Voraussetzung für solche Aktionen sei eine „Arbeitsgemeinschaft“ im Hintergrund, die Veranstaltungen plant und organisiert, um Überschneidungen zu vermeiden, aber auch, um eine Vielzahl verschiedener Projektpartner aus der Umgebung einzubeziehen und sei es als Werbeträger: „Bäcker, Kioske, Schulen, und warum nicht auch der Einkaufsladen an der Ecke? Wir müssen dort sein, wo die Menschen hingehen, die wir bei uns in den Praxen vermissen.“ Wenn sich zum Start 2007 einige Engagierte zusammenfinden, sind sicher mit Beginn der wärmeren Tage erste Aktionen realisierbar: „Streetworking für die Zahngesundheit ist eine hoch ehrenhafte und auch wichtige Aufgabe, und wir müssen uns bei denen bedanken, die hier Brücken bauen zwischen der Bevölkerung und unseren Praxen.“
Im Rahmen der Aktion ergaben sich auch einige strukturelle Defizite, die erst durch die Aktionsreihe erkannt wurden und nun angegangen werden sollen: So wird derzeit die Berliner Schullandschaft auf Ganztagsschuldienst umgestellt mit dem Angebot von Mittagessen: „Aber man hat keine Waschbecken eingeplant, wo die Kinder Zähne putzen können. Das wurde schlichtweg vergessen“, stellte Dr. Schmiedel mit Bedauern fest. Die Kammer werde sich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Schulverwaltung diesen Missstand erkennt und möglichst zeitnah behebt.