Patientenversorgung in akuter Gefahr
Berliner Zahnärzteschaft warnt Politik
Berlin, 18.06.2024 – „ZÄHNE zeigen gegen diese kranke Gesundheitspolitik“ – unter diesem Motto haben sich heute viele Berliner Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie Praxispersonal gegen eine weitere Verschlechterung politischer Rahmenbedingungen und eine zunehmende Reglementierung von Praxisabläufen gewandt. Zusammen mit den Auswirkungen des demografischen Wandels auf Praxisinhaberinnen und -inhaber bildet dies eine gefährliche Mischung und droht, die wohnortnahe zahnmedizinische Patientenversorgung akut zu beeinträchtigen.
Die Organisatoren der Veranstaltung, Zahnärztekammer (ZÄK) Berlin und Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) Berlin, sowie der Verband medizinischer Fachberufe (vmf) machten dies in einer Podiumsdiskussion gegenüber zwei Repräsentanten der Berliner Landespolitik, Christian Zander, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, und Tobias Schulze, Sprecher für Gesundheit der Fraktion „DIE LINKE“, nachdrücklich klar. Bei der anschließenden Kundgebung am Kurfürstendamm zeigten Autofahrer und Passanten Verständnis für das Anliegen der Zahnärzteschaft, die Patientenversorgung auch in Zukunft in gleichbleibend hoher Qualität zu gewährleisten.
In der von Dr. Marion Marschall, Chefredakteurin Quintessence News, moderierten Podiumsdiskussion traten die zahlreichen Anliegen, die Zahnärzteschaft und zahnmedizinischen Fachberufen derzeit unter den Nägeln brennen, klar hervor. Dies spiegelte sich auch in den Statements wider.
Karsten Geist, Vorstandsvorsitzender der KZV Berlin:
„Was einer effizienten Patientenversorgung massiv im Wege steht, ist die Budgetierung zahnmedizinischer Behandlungen. So hat der Gesetzgeber die erst Mitte 2021 neu eingeführte, präventionsorientierte und auf drei Jahre angelegte Parodontitistherapie schon 2023 wieder budgetiert. Ergebnis: ein Rückgang der durchschnittlichen monatlichen Neubehandlungen von 120.441 im Jahr 2022 auf 93.671 im Folgejahr. Das ist ein Einbruch um mehr als 22 Prozent. Dabei leidet jeder zweite Erwachsene an Parodontitis, unbehandelt ist sie die häufigste Ursache für vermeidbaren Zahnverlust. Wer ständig der Prävention das Wort redet, muss sich auch in der Realität daran messen lassen. Anderer Punkt: Die Überalterung der Zahnärzteschaft stellt uns vor immense Herausforderungen. So hat sich der Anteil der über 60-jährigen Vertragszahnärztinnen und -zahnärzte in den letzten 15 Jahren von 15 Prozent (2009) auf 33 Prozent (2023) mehr als verdoppelt. Und es existieren weit mehr ältere, praxisabgabewillige als jüngere, übernahmebereite Zahnmediziner. Für den Nachwuchs ist das wohl nicht mehr attraktiv.“
Dr. Karsten Heegewaldt, Präsident der ZÄK Berlin:
„Neben einem immer wilderen Bürokratiedschungel und einem sich verstärkenden Fachkräftemangel müssen wir nun die Folgen einer über Jahre und Jahrzehnte verfehlten Gesundheitspolitik ausbaden. Wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Patientinnen und Patienten, die wir sehr ernst nehmen. Neue bürokratische Anforderungen, Dokumentationen und Kontroll-Listen machen nicht einen einzigen Menschen gesund. Hinzu kommen die fatalen Konsequenzen der Budgetierung: Leistungseinschränkungen und verlängerte Wartezeiten für Patientinnen und Patienten sowie Praxissterben und dadurch wachsende Versorgungslücken. In den kommenden fünf Jahren wird circa ein Drittel der niedergelassenen Zahnärztinnen und Zahnärzte das Ruhestandsalter erreichen. Niederlassungswilliger Nachwuchs ist kaum in Sicht, denn aufgrund der stetig schlechter werdenden Rahmenbedingungen sind immer weniger junge Zahnärztinnen und Zahnärzte bereit, eine eigene Praxis zu gründen. Das Maß ist jetzt voll und wir müssen gemeinsam gegen die immer schlimmer werdenden Zustände protestieren!“
Hannelore König, Präsidentin des vmf:
„Als vmf unterstützen wir den Protest der Berliner Zahnärzteschaft, denn die gesundheitspolitischen Entscheidungen zur Budgetierung der Parodontitis-Therapie und zu den Honorarobergrenzen bei zahnärztlichen Leistungen gefährden Arbeitsplätze in den zahnärztlichen Praxisteams und gleichzeitig die wohnortnahe zahnärztliche Versorgung. Bereits im September 2023 hat der vmf der aktuellen Gesundheitspolitik in einem breiten Bündnis aus (zahn)ärztlichen und zahntechnischen Vertretern die rote Karte gezeigt. Die Versprechen zur Stärkung der Gesundheitsberufe und der ambulanten Versorgung aus dem Koalitionsvertrag wurden bis heute nicht eingelöst, stattdessen gab es für den ambulanten Bereich nur Spargesetze, Sanktionen und mehr statt weniger Bürokratie. Selbst der Sachverständigenrat Gesundheit & Pflege fordert in seinem aktuellen Gutachten, endlich Strukturreformen umzusetzen, um die knappe Ressource der Gesundheitsberufe effizienter einzusetzen. Dazu gehört auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für unsere Berufsangehörigen, so die Gutachter."
Alle drei Organisationen appellierten nachdrücklich an die Politik, die Grundlagen für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung zu schaffen und zu diesem Zweck bestehende Hürden abzubauen, keinesfalls ständig neue zu schaffen. Nicht nur in Berlin haben heute Zahnmediziner und Fachpersonal gegen die aktuelle Gesundheitspolitik demonstriert. Auch in Niedersachsen und Baden-Württemberg fanden Aktionen für den Erhalt der wohnortnahen zahnmedizinischen Versorgung statt. Eine weitere Aktion in Bayern gab es bereits am 12. Juni 2024.